Nachruf auf Bernd Leistner

Die Internationale Wilhelm-Müller-Gesellschaft trauert um Prof. Dr. Bernd Leistner, der am
27. Februar 2019 einem Krebsleiden erlag.

1939 in Eibenstock geboren, studierte Bernd Leistner von 1957 bis 1962 Germanistik und
Geschichte an der Universität Leipzig, wo er 1971 nach zwischenzeitlicher Tätigkeit als
Lehrer zum Doktor der Philosophie promovierte. In den folgenden Jahren war er u.a. Dozent
für Germanistik in Skopje (1971–1974), wissenschaftlicher Mitarbeiter der Nationalen
Forschungs- und Gedenkstätten der Klassischen Deutschen Literatur in Weimar (1976–1988)
und Dozent am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ (1988–1992). 1990–1993
bekleidete er, seit 1982 habilitiert, Gastprofessuren an den Universitäten Oldenburg, Frankfurt
a. M. und Tübingen, 1992–2004 den neu eingerichteten Lehrstuhl für Deutsche Literatur der
Neuzeit an der Technischen Universität Chemnitz. Aus seiner langjährigen wissenschaftlichen
Tätigkeit gingen u.a. zahlreiche Studien und Essays zu Goethe, Schiller und Kleist, zu
Johannes Bobrowski, Arno Schmidt und Peter Hacks hervor. 2011 zeigte der ruhelose
Ruheständler mit der Gedichtsammlung In aller Form. Altväterische Gedichte und Sprüche,
dass er auch das lyrische Wort beherrschte.

Bernd Leistner bei der Eröffnung des Wilhelm-Müller-Denkmals in Franzensbad, 18. Mai 2013

In Interviews und Lebensbeschreibungen wurde Bernd Leistner immer wieder als Homme de
Lettres beschrieben, als Mensch also, der nicht nur „mit Schreiben sein Geld verdient“,
sondern „der für die Literatur lebt, der das geschriebene Wort für den Extrakt des Lebens
erachtet und eben diese Achtung, diese Wertschätzung des Geistes anderen fühlbar macht, der
den Wohlklang von Sprache genießen lehrt und dessen eigenes Schreiben und Sprechen
Genuss bereitet“. Wer sich hiervon einen Eindruck verschaffen und das Ineinandergreifen von
Leben und Literatur aus des „Schriftmenschen“ eigener Feder erlesen möchte, konsultiere die
höchst unterhaltsamen „Erinnerungssplitter“, die 2017 unter dem Titel Im Lauf der Zeiten im
quartus-Verlag Jena erschienen sind.

Im letzten Kapitel des Buches, dem das obige Zitat entstammt, erinnert sich der Autor an eine
„Germanistenwanderung“ von Franzensbad nach Eger, der er selbst als Wanderführer
vorstand und aus der trotz allseitiger Erschöpfung eine jahrelange Tradition erwuchs. Es mag
derselben Neigung zu verdanken sein, dass sich der wandernde Literaturwissenschaftler auch
um das literarische Erbe des „Wanderdichters“ Wilhelm Müller verdient zu machen wusste:
So brachte er sich von Beginn an in die Entstehung der Werkausgabe ein, die seine Frau
Maria-Verena Leistner in den 1980er Jahren erarbeitete und die 1994 im Berliner Gatza-
Verlag erschien. Der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft, deren Entstehung mit der
abenteuerlichen Publikationsgeschichte dieses Werkes verbunden ist, stand er als
Gründungsmitglied mit seinem Engagement vom ersten Tag an in Wort und Tat zur Seite. Ein
beredtes Zeugnis hierfür liefert der brillante biographische Essay, den er zu Müllers
Werkausgabe beisteuerte und der heute auch auf der Webseite der Müller-Gesellschaft
nachzulesen ist. Ihm sind die nach wie vor relevanten Beiträge an die Seite zu stellen, die
Leistner in den folgenden Jahren zu den Symposien der Müller-Gesellschaft beisteuerte.

Eine von Leistners bedeutendsten Taten für das Gedenken Wilhelm Müllers führt uns zurück
in das tschechische Franzensbad, wo der Dichter 1826 zu einem mehrwöchigen Kuraufenthalt
weilte. Es ist vor allem dem unermüdlichen Engagement des Ehepaars Leistner zu verdanken,
dass das 1910 errichtete Denkmal, das an diesen Aufenthalt erinnert, 2013 umfassend saniert
und damit einer jahrzehntelangen Anonymität entrissen wurde. In diesem Frühjahr wollte
Leistner den Stiftungsrat der Wilhelm-Müller-Stiftung auf einem Ausflug nach Franzensbad
begleiten, um an altbekannter Wirkungsstätte erneut den Fremdenführer zu geben, eine Woche vor seinem 80. Geburtstag. Auch wenn die Reisenden nun auf seinen Beistand
verzichten mussten, so war er ihnen doch auf ihren Wegen durch Franzensbad und Umgebung
gegenwärtig. Vor allem ein Erinnerungsort ließ diese Gegenwart spürbar werden: das Müller-
Denkmal, dessen Ansicht gleichsam Gefühle der Trauer und Dankbarkeit weckte wie die
Gewissheit befestigte, dass Bernd Leistner uns in seinen Worten und Werken niemals ganz
verlassen wird.

Besuch des Wilhelm-Müller-Denkmals im April 2019 (v.l.n.r.: Marco Hillemann, Maria-Verena Leistner, Ralf Neukirchen)

Marco Hillemann, im Namen der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft